NS-Herrschaft, „Volksgemeinschaft“, Inszenierung: NS-Dokumentations- und Lernorte gründen Arbeitsgemeinschaft
Vertreter:innen von sieben Dokumentations- und Lernorten schließen sich zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen, um den Dialog über den Umgang mit Stätten der NS-Herrschaft zu fördern.
Stätten der nationalsozialistischen Herrschaft, der propagandistischen Inszenierung oder der Erzeugung und des Erlebens einer vermeintlichen Volksgemeinschaft: Dort arbeiten Dokumentations- und Lernorte. Sie informieren mit ihren Ausstellungen und Bildungsangeboten über wichtige Mechanismen der NS-Diktatur. Wie war der Nationalsozialismus politisch möglich? Wie funktionierten seine Herrschaft und seine Selbstdarstellung? Wie breit war er in der Gesellschaft verankert, und wie konnte all dies zu den nationalsozialistischen Massenverbrechen führen?
Nationalsozialistische Herrschafts- und Volksgemeinschaftsorte sind authentische Orte, an denen durch die Beschäftigung mit der Vergangenheit für Entwicklungen der Gegenwart sensibilisiert werden kann. Sie erfüllen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe – gerade in Zeiten, in denen die Demokratie infrage gestellt wird, in denen völkische Ideologien salonfähig und rechtsextreme Parteien wählbar werden. Das öffentliche Interesse an diesen Orten ist groß.
Sprecher der neuen Arbeitsgemeinschaft sind Jan Waitzmann, Geschäftsführer des Dokumentations- und Lernorts Bückeberg, und Dr. Sven Keller, Leiter der Dokumentation Obersalzberg: „Neben den KZ-Gedenkstätten, die an das Leid der Opfer erinnern, braucht es Einrichtungen wie unsere, die Herrschafts- und Integrationsmechanismen der nationalsozialistischen Diktatur beleuchten und den verantwortungsvollen Umgang damit sicherstellen. Hier lässt sich verstehen, ‚wie so etwas möglich‘ war und wurde. Ziel unserer Arbeitsgemeinschaft ist es, in Dialog über die Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der Orte zu treten, die uns anvertraut sind, und unsere eigene Arbeit zu reflektieren“. Keller und Waitzmann betonen: „Es ist gerade die große inhaltliche Breite, die den Austausch so spannend macht: Sie reicht von einem Herrschafts- und Inszenierungsort wie Hitlers zweitem Regierungssitz am Obersalzberg über die NS-Ausbildungsstätte Ordensburg Vogelsang bis hin zum Platz des Reichserntedankfestes am Bückeberg. Ebenso zählen dazu die „Kraft durch Freude“-Massenanlage an der Ostsee in Prora, die SS-Kultstätte Wewelsburg, die Führerschule der Reichsärzteschaft in Alt-Rehse sowie das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.“ Dabei gebe es, so die Sprecher, auch viele Gemeinsamkeiten: „Unsere Orte liegen häufig in wunderschönen, heute touristisch genutzten Landschaften, oft hatten sie vermeintlich harmlose, alltägliche oder unpolitische Funktionen – während sie bei genauerem Hinsehen eng mit der nationalsozialistischen Diktatur, ihrer Ideologie und ihren Verbrechen verknüpft sind.“
Die seriösen und fundierten Informationsangebote der Mitglieder der neuen Arbeitsgemeinschaft erreichen fast eine Million Besucherinnen und Besucher jährlich. Sie umspannen das gesamte Gebiet der Bundesrepublik.
Die bisherigen Mitglieder sind:
· Lern- und GeDenkOrt Alt Rehse (Mecklenburg-Vorpommern)
· Dokumentations- und Lernort Bückeberg (Niedersachsen)
· Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg (Bayern)
· Dokumentation Obersalzberg (Bayern)
· Dokumentationszentrum Prora (Mecklenburg-Vorpommern)
· Vogelsang IP (Nordrhein-Westfalen)
· Kreismuseum Wewelsburg (Nordrhein-Westfalen)
Gegründet wurde die Arbeitsgemeinschaft anlässlich eines Treffens am Dokumentations- und Lernort Bückeberg, an dem die Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1937 die Reichserntedankfeste veranstalteten. An ihnen nahmen jährlich bis zu einer Million Menschen teilen. Ziel war die Erzeugung eines starken Gemeinschaftsgefühls bei den Teilnehmenden. Extra dafür wurden das Festgelände und die Umgebung nach Entwürfen von Albert Speer massiv bearbeitet. Die Menschen sollten sich als Teil der von den Nationalsozialisten propagierten Volksgemeinschaft fühlen. Dabei wurden Propagandabilder erschaffen, die die allumfassende Zustimmung der Deutschen zum “Führer” Adolf Hitler beweisen sollten. Bauern oder Erntedank waren fast schon ein Randthema. Das belegen auch die im Rahmen des Reichserntedankfestes jährlich stattfindenden Militärübungen. Sie machten den Hauptteil des Programms aus und sollten die deutsche Bevölkerung für den geplanten Angriffskrieg begeistern. Seit 2021 informiert die Dauerausstellung auf dem ehemaligen Veranstaltungsgelände über die Geschichte der Feste und die Mechanismen der Propaganda.